Transalp25 – das Tourentagebuch

20.8. Aschaffenburg – Reicholzheim
72 km. 1010 hm.

Schloßplatz Aschaffenburg. „Kamasutra“, mein Fahrrad, ist vorne und hinten mit Packtaschen beladen und wartet ungeduldig auf den Start. Ich bin müde von den vielen Vorbereitungen der letzten Wochen und Monate. Und auch etwas aufgeregt vor dem, was vor uns liegt. 2 Wochen mit dem Fahrrad, über die Alpen bis nach Italien. Wie’s meinen beiden Mitradlern wohl geht?

Ich komm nicht viel zum Nachdenken. Abfahrt um halb 10 unter Applaus und anfeuernden Zurufen von einem echt tollen Überraschungs-Abschiedskomitee. Danke ihr Lieben, hat mich saumäßig gefreut! 🙂

Wir rollen runter zum Main, Richtung Süden.

Die TRANSALP25 beginnt!

Im ersten richtigen Landregen seit Wochen radeln mein Neffe Armin (23), Ludger (71) und ich (63) bis zur schönen Waldkapelle bei Kleinwallstadt. Der Regen wird abgelöst von sonnenbestrahlter reingewaschener Luft ab der weiten Dornetshöhe. Birnen-Klauben und Brombeer-Zupfen reduzieren unsere Durchschnittsgeschwindigkeit. Es wird schnell heiß, und wir freuen uns bald über die Kühle des Spessart.

Ab Neuhammer begleitet uns Bea für ein paar Radelstunden. Steiler Anstieg nach Dammbach bergauf, kurzer Regenschauer, und danach schöner alter Buchenwald. Wandergruppe versorgt uns mit Muffins, dankeschön! Schattige Abfahrt und ab Altenbuch hübscher Radweg bis zum Main: innerhalb von wenigen Kilometern in eine andere Landschaft!

Gemütliches Flußradeln bis Wertheim, dann die dort urwaldfluß-taugliche Tauber entlang bis Reichholzheim. Vergebliche Suche nach einer Wirtschaft: entweder zu teuer oder geschlossen. Wir enden bei leckerem Schnitzel am Tauber-Campingplatz von Reicholzheim. Übernachtet wird in einer Schutzhütte ein paar km später. Mit rauschendem Bächle und Eisvögeln. War ein guter Einstieg heute!

21.8. Reicholzheim – Crailsheim
109 km. 1250 hm.

Nach ziemlich frischer Katzenwäsche im Bach nebenan Start in den genauso frischen Morgen. Herrliches Licht. Zwischen Bäumen versteckt windet sich die Tauber Kurve um Kurve durch ihr schönes Tal und durch hübsch herausgeputzte Orte wie Gaumburg mit Trinkwasserbrunnen und martialischem Denkmal. Frühstück am sonnenbeschienenen Marktplatz von Tauberbischofsheim, Kaffee und Müsli. Gleich nach Tauberbischofsheim Kapelle des Heiligen Wolfgang – der Legende nach hatte mein Namenspatron auch so ein reisefreudiges Wesen wie ich…

Bis Bad Mergentheim zieht sich’s, dafür gibt’s hier auch eine St.Wolfgangs-Kapelle UND eine Wolfgangstraße! Fast schon inflationär…

Danach strampeln wir an Wiesen und Feldern vorbei eine Hochebene rauf. Wir lernen, daß Hochebenen oben nicht unbedingt eben sind, sondern sehr wellenförmig aus mehreren Raufs und Runters bestehen, und zwar so vielen, daß wir irgendwann aufgehört haben, sie zu zählen. Das zieht viel Kraft, bringt aber viele Höhenmeter, und jeder Höhenmeter bringt ja auch was für unsere Spendenaktion. Nach gefühltem Hochebenen-Anstieg Nr. 10728 erreichen wir Crailsheim. Beim chinesisches Restaurant dort füllen wir am All-you-can-eat-Buffet unsere verbrauchten Energiespeicher.

Die letzte Strecke des Tages führt im letzten Licht des Tages vom Chinesen in Crailsheim bis zum versteckten Schlafplatz am Ufer der Jagst. Amüsant ist Ludgers „Wurstpellenzelt“, so ein schmales längliches Schlafdings.

22.8. Crailsheim – Königsbronn
65 km. 620 hm.

Der bisher kürzeste Tag. Wir schlafen lange aus und haben das auch nötig. Wir verlassen das baumbestandene Ufer der Jagst und suchen fürs Frühstück lange verzweifelt nach einem Bäcker mit Stehcafe und finden erst um halb 12 in Ellwangen einen. Da rentiert sich das Frühstück nicht mehr, wir essen beim Metzger gleich zu Mittag. Gefolgt von drei großen Eiskugeln. Das ist ja das tolle an so langen Touren: da kannst du essen, soviel du willst, die Kalorien sind Stunden später eh weggestrampelt.

Die Strecke bis Ellwangen gefällt mir ganz gut: schöner Radweg in Begleitung der Jagst, mal bergauf mit flotten Bergabs, mal gemütlich über Wiesen und Feldern und viel im Waldschatten. Hinter Ellwangen bis zum Jagst-Stausee und rein nach Aalen und durch bis Königsbronn: dort entspringt aus einer Felswand die Brenz, glasklar und türkisblau und eiskalt, in ihrem stillen Wasser spiegeln sich Häuser und Bäume, wunderschön und angenehm kühlend für verschwitzte Radfahrer.

Am Itzelberger See treffen wir die gute Seele Ulrike aus Oberkochen, die uns mit Brotzeit zum Seeblick versorgt.

Und die erste Dusche seit 3 Tagen wäscht den ganzen Bäpp weg und verschafft uns ein wohliges Einmümmeln in den Schlafsack am Noname-Campingplatz von Königsbronn.

23.8. Königsbronn – Memmingen
114 km. 810 hm.

Wir verlassen unseren namenlosen Campingplatz in ziemlich sonnigem Morgenlicht. Folgen der glasklaren Brenz bis zum Aufwach-Kaffee in Heidenheim. Und schlängeln uns durch das schöne, angenehm schattige Eselsbacher Tal, wo sich auch die Brenz hindurchschlängelt, begleitet von steilen Waldhängen. Das Wasser ist so durchsichtig und klar, daß jedes einzelne Pflänzlein sichtbar ist.

Nach steilem 14%-Anstieg der Kontrast: ausgetrocknete Wiesen und Hitze und die A7. Gleich danach folgt jedoch das hübsche Lonetal mit dem „Jakobswegle“, einem Teil des schwäbischen Jakobswegs. Es folgen ein paar angenehm kühle Kilometer im Wald bergauf, und wir blicken auf die flache Donau-Ebene mit ihren weiten Feldern und Wiesen. Da hindurch rollen wir bis zur Fluß. Mittagspause im Baumschatten bei Günzburg, ganz in der Nähe von der Mündung der Günz in die Donau.

Ewig langer Tages-Endspurt durch das Günztal, wobei von „Spurt“ nicht die Rede sein kann, eher ein langes Dahintreideln, nur unterbrochen von einem Bauernhof mit Eis-Automat und einer Luftkampfübung von vier Eurofightern. Und einmal Wassertreten, kurz vor Kettershausen. Das tut richtig gut, denn die 60 km von der Donau südwärts ziehen sich ganz schön in die Länge, die Hitze und die Sonne legen sich auf die Haut, stehen in unseren Gesichtern. Abends um halb 7, endlich: Memmingen. Der erste Teil der Transalp25, das Einradeln, findet hier nach 4 Tagen seinen Abschluß. Uff! Wir sind mehr k.o. als vor 2 Tagen mit den vielen Höhenmetern.

24.8.: Pausentag in Memmingen
Mutter besuchen, Futter kaufen, Klamotten waschen, Organisationskrimskrams, Gepäck ausmisten, Foto-Shooting, Freunde treffen und nochmal Mutter besuchen.

25.8. Memmingen – Steigmatt(CH)
119 km. 710 hm.

Morgens Start in Memmingen, mit Presse und netter Verabschiedung durch OB Schilder – auch die Stadt spendet für die STERNSTUNDEN. Dann noch einmal die Mutter gedrückt und auch meinen Radler-Spezl Winnie, der wegen Schulter-OP nicht mitradeln kann und herzblutend hinterher winken muss (Mensch Kerle, ich kann sehr gut verstehen, wie sich das anfühlt…)

Über die schöne Dickenreiser Allee Richtung Südwesten. Sattgrüne Wiesen, im Gegensatz zur trockenen Main-Gegend. Sanfte Grashügel und versprenkelte Einödhöfe bis weit ins Westallgäu hinein. Endlose Weiten und wahnsinns-tiefblauer Himmel mit geschwungenen Federwolken, Dörfer und Weiler und Wiesen und Wäldchen. Das Auge reist mit. Es macht echt Spaß, hier durchzuradeln.

Unterwegs ein winziges Holzhäuschen mit Limonaden-Verkauf: einfach Limo, Radler oder Saft nehmen, Geld in eine Box schmeißen, fertig. Ein nettes Pausen-Plätzle. Das nutzen wir für unsere Mittagsbrotzeit aus.

Am Horizont im Süden die ersten Bergketten, nach einer ganzen Weile zeigt sich sogar das mächtige Säntis-Massiv – das liegt schon in der Schweiz! Weiter hügelauf hügelab, immer wieder tolle Panoramabilder, schattige Bänkle mit Traumaussichten, ein plätschernder Quellbrunnen, die Obstbäume prall voller Äpfel. Einfach toll!

Das Landschaftsbild ändert sich und die Abfahrten häufen sich, und nach einer sausenden Abfahrt stehen wir urplötzlich am Bodensee, in der Sonne weit glitzernd (der See, nicht wir). Durchs lärmig-wuselige Bregenz hinein in Vorarlbergs sumpfige Rhein-Auen, irgendwann abends rüber in die Schweiz. Dann unser ersehntes Tagesziel: der Bauernhof Steigmatt, mitten in der Rhein-Ebene gelegen, mit Strohlager zum Nächtigen, mit Hühner, Pfauen, Hasen, Eseln Katzen, Kängurus (!), Hofhund Luna und der liebenswürdigen Bäuerin Sonja, die uns Ausgehungerte mit einem Riesen-Topf Spaghetti Bolognese versorgt.

26.8. Steigmatt – Bad Ragaz
54 km. 210 hm.

Im Stroh schlafen ist was Großartiges. Nur die Blase bewegt mich, aufzustehen.

Und die Aussicht auf ein leckeres Bauernfrühstück.

Wir fahren recht spät los, weil ich viel Schreiberei nachzuholen hatte. Durchs flache Rheintal und die nette Inland-Veloroute, oft begleitet vom Rheintal-Binnenkanal.

Die Tour heut wird relativ kurz: Armin, unser Kameramann und Herr über die GoPro, schlägt sich seit kurzem mit Schmerzen an Knie und Ferse rum, die einfach nicht aufhören wollen. Vermutlich eine Entzündung. Bis Bad Ragaz radelt er noch tapfer mit, aber dann muß er aufgeben, schweren Herzens. Die Schmerzsalbe hilft nur noch temporär. An Pass-Touren ist jetzt nicht mehr zu denken. Morgen früh fährt er mit dem Zug heim.

Das ist sehr schade. Ich hätte ihn gern weiter dabei, grad jetzt so kurz vor dem ersten Pass. Hast dich aber tapfer durchgeschlagen, Armin: in sechs Radel-Tagen auf über 500 km! Schulterklopfen hast du dir auf jeden Fall verdient. Wirst mir fehlen.

Wenigstens wirst jetzt nicht mehr von mir beschnarcht…

Zelt-Aufschlagen am Campingplatz Bad Ragaz. Stimmung ist etwas gedrückt…

27.8. Bad Ragaz – Filisur
64 km. 1390 hm.

Schweren Herzens verabschieden wir Armin und schicken ihn mit dem Zug nach Hause. Gute Besserung, Junge!

Einkaufen für heute und morgen, endlich gibt’s einen Bäcker mit den von mir geliebten Nußkipfeli 🙂 Die Radel tragen uns danach flott am Rhein entlang bis Chur. Dort unser erster Paßanstieg, zur Lenzerheide auf 1550 m rauf. Am Anfang ist’s noch machbar, aber der viele Verkehr nervt. Radspur ist so gut wie nicht vorhanden. Dann wird’s auch noch steil, und bei einer Baustelle müssen wir die Räder auch noch 1 1/2 km bergauf schieben. Schweiß tropft, aber jeder Höhenmeter zählt und bringt ja auch was für die Spendenaktion.

In Churwalden Lagerverkauf von Bündner Fleisch, da schlag ich zu. Und dann wird‘s noch steiler, sakra. 12-13 % Steigung auf über 2 km Länge, ziemlich geradeaus hoch und mit viel Verkehr: das zehrt an den Kräften, da wird der Kopf knallerot, und wir beschäftigen uns in erster Linie mit „Asphaltstudium“: Blick nach unten auf die Straße und einfach treten, treten, treten…

Die Paßhöhe ist unscheinbar, Lenzerheide selbst voller Touris. Aber die Abfahrt! Wir nehmen die Nebenstraße nach Brienz und bekommen ein Panorama nach dem andern präsentiert. Da kann man nicht so einfach runterrasen: alle paar Meter ein Bild, das uns zum Staunen bringt: auf das tiefe Tal, wo der Bernina-Express wie eine Märklin-Eisenbahn entlangzuckelt. Auf die wilden Berge, die darüber hochragen. Auf das Bergdorf Brienz mit seiner auf einem Vorsprung hoch über allem erbauten St.Calixtus-Kirche. Und alles auf dieser tollen kurvigen Bergab-Straße. Im Dorf entdecken wir sogar unseren ersten Steinbock, siehe Foto!

Jedenfalls hat die tolle Abfahrt den blöden Anstieg von Chur rauf wieder gutgemacht.

Übernachtung am echt netten versteckten Campingplatz von Filisur. Hier treffen wir Kevin aus Darmstadt wieder, einen genauso durchgeknallten Alpenradler wie ich, der am Campingplatz von Bad Ragaz sein Zelt neben unseren hatte.

28.8. Filisur – Livigno
77 km. 2470 hm.

Schön, wenn die Sonne über den Berg kommt, seltsame Schattenspiele zaubert, die Knochen wärmt und das feuchte Zelt trocknet.

Die nächsten Stunden führen nur bergauf, von 1100 m zum Albula auf über 2300 m, und weil das mein allererster geradelter Paß war, fahr ich ihn mit Lederhose. Ja, richtig gelesen: so eine richtig bayrisch Krachlederne 🙂. Klappt übrigens weit besser als erwartet!

Die Straße hoch ist echt was fürs Auge: mit rauschendem Albula-Bach, steilen Felswänden, grünen Hochalmen, dem schmucken Örtchen Bergün mit am Sonntag geöffnetem Bäcker. Und dann die Bernina-Bahn, die sich kurvig nach oben schraubt, mal an Berghängen entlang, mal neben der Straße, mal spiralförmig durch Bergtunnel und über steinerne Brückenbögen. Sieht total schön aus, wenn das rote Zügle so langsam um die Kurven biegt, fügt sich gut in diese wunderschöne Gebirgslandschaft ein.

Kurven haben wir auch, jede Menge, nur laaangsam gewinnen wir an Höhe, strampeln am schönen türkisfarbenen Palpuogna-See vorbei, erreichen die Baumgrenze, fahren in eine Tundra-artige Felsgegend hinein, bewacht von mächtigen Bergen. Es ist anstrengend, aber das hier ist halt einfach tolles genußbeladenes Gebirgsradeln mit viel Gucken und Staunen. Wenn die vielen Autos und Motorräder nicht wären. Heute ist Sonntag und ein schöner Sommertag: da wimmelt‘s von ihnen auf den meisten Alpenpässen. Das ist nervig, und man kriegt nicht immer gesunde Bergluft ab.

Der Paß rückt langsam näher, Meter für Meter. Dann stehe ich oben. Albula-Paß, auf 2313 m, Teil des Alpenhauptkamms. Mit seiner Überschreitung ist meine 25. Alpen-Überquerung praktisch komplett. Ich freu mich, stoß einen Schrei aus, strahle über beide Backen, aber ich kann’s noch gar nicht richtig fassen. Fühlt sich an wie eine ganz normale Alpenüberquerung, die man geschafft hat. Und doch: es ist die 25.! 🤓🚴‍♂️

Eine kurze Apfelschorle zum Feiern statt Champagner, dann rauschen wir bergab ins Engadin.

Doch zu Ende ist die Tour noch lange nicht. Wir bummeln in der Bergsonne den netten Radweg bis Samedan, von einem klaren Bächle begleitet. Dann trennen sich unsere Wege: Ludger ist mit zwei Paß-Überquerungen zufrieden und mag lieber gemütlich bergab nach Italien hinuntergleiten, während ich noch ein paar Berge vor mir habe und heute erst mal ins Livigno-Tal will.

Dazu muß ich noch 20 km bergauf zum Bernina-Paß, aber das läuft recht flott, die Steigung ist nämlich recht gemächlich. Oben weht ein frischer Wind, drum saus ich gleich die 300 hm bis zum Abzweig nach Livigno runter. Dann ist’s vorbei mit Sausen. Bis zum Livigno-Paß, der fast genauso hoch ist wie der Bernina, darf ich kräftig 5 km und die verlorenen 300 hm hochschnaufen, zugegeben von mehreren Flüchen begleitet. Kurz vor Sonnuntergang auf der Paßhöhe. Ich sehe jemand den den gleichen Weg hochkeuchen wie ich! Kevin! Wie klasse! Nach den obligatorischen Paß-Fotos flitzen wir in kaltem Fahrtwind ins Livigno-Tal hinunter und nisten uns dort auf dem ersten Campingplatz ein. Dort werden wir mit Bier und duftender italienischer Pasta versorgt. Großartig!

29.8. Livigno – via Alpisella – Bormio
48 km. 630 hm.

Die Nacht war recht kalt, beim nächtlichen Klogang sogar saukalt. Den Schlafsack zu verlassen fällt schwer, erst als die Sonne über die Berge krabbelt, werden die Temperaturen annehmbar. Bis wir aufgetaut sind, wird’s später Vormittag, ehe wir losrollen. Nach kurzem Einkaufsstopp in Livigno folgen wir dem gut besuchten Livigno- Stausee. Dort Anstieg zum Alpisella-Paß.

Der ist nicht ohne…

Grad mal 20 m schaff ich zu radeln, dann wende ich mich dem Schieben zu: der Weg ist dermaßen steil und geröllhaltig, daß an Radeln nicht zu denken ist. Die Tour wird zur Bergwanderung, mit dem Unterschied, daß ich statt Rucksack ein voll bepacktes Fahrrad hochwuchten muß. Kevin genauso. Schieb schieb schieb. Kurz verschnaufen. Weiterschieben. Ich hab dann gar keine Augen für das schöne Gebirge ringsum, weil man zusätzlich auf die Urlaubs-Mountainbiker aufpassen muss, die mal hilflos, mal voll Power ums Eck rattern. 2 schweißtropfende Stunden dauert das steile Bergauf-Geschleppe, „Kamasutra“ dürfte samt Gepäck so um die 30 kg auf die Waage bekommen, Schimpfen und Fluchen ist also inklusive, weil man auf dem blöden Geröll immer wieder rutscht.

Fazit: mit Mountainbike machbar, aber nicht mit packtaschenbeladenen Tourenrädern.

Heilfroh erreichen wir irgendwann die Paßhöhe auf 2218 m und können das Blicke-Schweifen-Lassen nachholen. Die tollen Gipfel haben das auch verdient, aber der Hammer ist das Bild mit dem Ortler-Gletscher im Hintergrund und als Vordergrund eine Horde grasender Ziegen, das sich im Spätnachmittagslicht für uns auftut. Unvergesslich!

Die Ziegen stellen sich uns später in den Weg und schlabbern unseren salzigen Schweiß ab. Komme mir vor wie ein mobiler Salzleckstein.

Für die 2 Stauseen hier oben, den Lago Di San Giacomo und Lago di Cancano, nehmen wir uns wegen fortgeschrittener Stunde nur wenig Zeit. Auffällig ist der extrem niedrige Wasserstand – dem ungewöhnlich heißen trockenen Sommer in Italien geschuldet. Nach einer letzten Panorama-Ausguck-Pause die rasante Schluß-Abfahrt nach Bormio ins Tal runter, auf unzähligen Serpentinen, eine Mordsgaudi. Die hören ja gar nimmer auf!

Übernachtet wird mangels Campingplatz im Baute Clementi, ein echt nettes Radfahrer-Hotel mit Riesen-Frühstück für ausgehungerte Pedalritter. Ab hier beginnt Italien-Flair.

30.8. Bormio – Morbegno
106 km. 660 hm

Abschied von Kevin: er muß nach links, Richtung Osten, und ich in den Westen, also nach rechts. War nett, mit ihn zu radeln. Er war mein erster Mitradler, der unterwegs mehr fotografiert als ich!

Der heutige Tag besteht fast nur aus Abfahrt: vom 1200 m hoch gelegenen Bormio bis nach Morbegno auf 260 m runter, auf knapp 100 km Länge! Was noch dazu kommt: fast die komplette Strecke fährt man auf einem top ausgebauten Radweg, mal sausend, mal gemütlich bummelnd. Durch’s schöne fruchtbare und abwechslungs-reiche Valtellina (Veltlin), vom Flüßchen Adda geformt, das später in den Comer See mündet. Mit viel Grün und blühenden Büschen und plätschernden Bächle und schattigen Bäumen, mit den typischen zusammengekuschelten italienischen Dörfchen und ihren engen Gäßchen und schönen Kirchen. Alle paar Kilometer kann man an einem schattigen Rastplatz verschnaufen, oft mit Brünnchen oder Wasserhahn ausgestattet. Das ist voll entspanntes Genußradeln 😉!

Bis Morbegno. Dann ist Schluß mit Radelbummeln für mich: statt die flachen 20 oder 30 km bis zum Comer See weiterzuradeln, führt mich meine Neugier nach links und weit hinauf zum Passo San Marco. Aber das erst morgen.

Schnell noch eine Pizza reingezogen, einen gefundenen Geldbeutel mit Perso bei der Polizei abgegeben und dann wenigstens mal 5 km bergauf geschnauft, damit ich zumindest schon ein paar wenige Höhenmeterchen hab, und im Fast-Dunkeln einen Schlafplatz gesucht und an einem verschlossenen Steinhäuschen gefunden. Vom Schlafsack aus mit Blick auf die Lichter von Morbegno und dem Valtellina-Tal und die Sterne. Einfach klasse.

Guts Nächtle 😴

31.8. Morbegno – Carvico
103 km. 2350 hm.

Nach einer ruhigen und friedlichen Nacht starte ich noch vor Sonnenaufgang. Auf der Straße ist, übrigens bis zum Paß, fast nichts los; das macht das Radeln entspannter.

Cappuccino- und Müsli-Pause im netten verwinkelten Örtchen Albaredo, der einzigen nennenswerten Siedlung an der Paßstraße. Hier erreiche ich – das schnall ich erst einen Tag später – den 10.000. Höhenmeter der Tour 🙂.

Die Paßstraße ist echt was fürs Auge: hinter jeden Kurve ein neues Panorama in einer aufregend schönen Berglandschaft mit irre steilen Waldhängen, versteckten Almen, mit tiefen Schluchten, die sich wie dunkle Furchen in die Berghänge hineingraben. So abwechslungsreich und so voller faszinierender Formen, als wäre hier ein Künstler am Werk gewesen.

Das verursacht natürlich viele Fotostopps und reduziert dementsprechend meine Durchschnittsgeschwindigkeit. Aber egal: das Unterwegs-Sein ist wichtig, das Unterwegs-Erleben.

Weit hinter mir, tief unten, bleibt das Tal des Veltlin zurück. Kurz vor der Baumgrenze kaufe ich an einer Rifugio deftigen Almkäse. Braunvieh schmaust sich durch ein Schlaraffenland voller Bergkräuter, ein Murmeltier saust vor mir über die Straße. Ich muß sagen, die Paßstraße gefällt mir!

Dem Passo San Marco fehlen nur 9 Meter, dann wäre er ein 2000er. Egal: die Weitblicke hier oben nach beiden Seiten sind viel wichtiger als Zahlen.

Berggipfel noch und nöcher rundum. Orobische Alpen heißt das Gebirge hier, kennt bei uns daheim kaum einer, eine verkannte, wilde Schönheit. Da gibt’s noch viel zu entdecken 😉.

Und da saus ich jetzt runter, aus der baumlosen Tundra in Schluchten und Täler hinein und durch bildhübsche italienische Dörfle, begleitet von rauschenden Bächen. Immer wieder mit Stopps zum Gucken und Blicke-Schweifen. Ein herrlich fotogener und gut durchdachter Radweg führt durch das Brembo-Tal bis San Pellegrino mit seinem leckeren Mineralwasser und weiter. Ewig könnte ich so weiterradeln, aber irgendwann muß ich nach Westen abbiegen, schließlich will ich morgen bei der Madonna del Ghisallo ankommen, meinem Ziel.

Ciao ihr Radwege, ab jetzt kämpfe ich mich über verkehrsreiche Straßen durch gesichtslose Ortschaften und Industriegebiete. Mein Tagesziel Lecco erreiche ich heut nicht mehr, bei Dunkelheit geb ich auf und such mir online ein Hotel in Carvico. Ich gelange auf dem Weg dorthin zwecks unklarer Ausschilderung in einen 4 km langen, leicht ansteigenden Schnellstraßen-Tunnel, der vermutlich für Fahrräder gesperrt ist, und bin heilfroh, als ich verschwitzt und nach mehreren Stoßgebeten des Ausgang erreiche… Zum Glück gibt’s im Hotel nachts um 10 sogar noch Spaghetti für mich🤓

Ich trag übrigens immer noch die Lederhose 😉

1.9. Carvico – Madonna del Ghisallo
51 km. 1260 hm.

Der Radeltag führt mich schnell weg von der Hauptstraße ans Ufer der Adda mit einer überraschend sehenswerten Auenlandschaft, viel Grün, viel Ruhe, viel Wasservögel. Der Uferweg ist zwar etwas holprig, aber der gemächlich dahintreibende Fluß hat was angenehm beruhigendes. Bei Garlate erweitert er sich zum See. Von hier aus nehm ich eine auf der Karte entdeckte Abkürzung, ein scheinbar kleines Sträßle, auf dem ich die wuselige Industriestadt Lecco vermeiden kann. Die kostet aber gehörig Schweißtropfen, da steiler und mit mehr Verkehr als erwartet – soviel zum Thema „Ich kenn da eine Abkürzung“. Die Einheimischen kennen sie halt auch… Immerhin spart sie mir 10 km und LKW-Verkehr, außerdem hab ich dort einen Ausblick auf den Lago di Anone. Und auf den Bergstock, den ich noch zu meinem letzten Tourenziel hoch muß, zur Madonna del Ghisallo, weit über dem Comer See.

Es folgen schließlich doch noch einige LKW-lastige Industrievorort-Kilometer, bevor der Anstieg zum Passo di Ghisallo beginnt. Der Verkehr nimmt aber kaum ab, nur die LKW werden weniger. Schwülheiß isses, am kühlen Radweg des Lago del Segrino kann ich die Hauptstraße etwas umfahren. Mir fällt auf, daß sich das Laub schon herbstlich färbt, jetzt Anfang September. Eine Folge des trockenen Sommers.

Der aus der Ferne als dramatisch erwartete Anstieg ist harmloser als gedacht. Zum Glück läßt der Verkehr etwas nach.

Wolken ziehen sich am Abendhimmel zusammen, vor den ersten Regentropfen erreiche ich die Kapelle der Madonna del Ghisallo, 500 m über dem Comer See. Ich rolle langsam auf sie zu. Ihre Türen stehen offen, aus dem Innern leuchtet Kerzenlicht. Als hätte sie auf mich gewartet.

Ich hab es geschafft.

Das Endziel der Transalp25 ist erreicht.

25 Alpenüberquerungen. Keine gleicht der anderen. Jede hat ihr eigene Geschichte. An allen hatte ich große Freude, und alle habe ich ohne große Blessuren überstanden. Ich bin sowas von dankbar.

Tränen fließen. Dürfen fließen.

Danke.

Auf den Campingplatz, 400 m unterhalb der Madonna, hatte ich mich tierisch gefreut, weil man hier so eine tolle Aussicht auf den Comer See hat. Vergeblich, denn es ist nämlich kein „echter“ Campingplatz, wie ich feststellen mußte: die vermieten hier nur Ferienhäuschen. „Normale“ Camper mit Zelt oder Wohnwagen & Co sind nicht erwünscht. Was jetzt?

Dank drohenden Gewitters und später Abendstunde und meinem Hinweis auf die 2-wöchige Fahrrad-Anreise plus Dackelblick meinerseits wies mir der erweichte Besitzer eine Stelle auf dem Kinderspielplatz für mein Zelt zu. Nicht ohne jedoch wucherige 20,- cash zu kassieren 😃 Na ja – ich hatte keine Wahl. Beim ersten Tröpfeln baue ich in Rekordzeit das Zelt auf.

Es blitzt und donnert und regnet. In einer Niederschlagspause radel ich zum Ort Magreglio hoch und gönne mir ein deftiges Risotto und einen halben Liter Rotwein. Das habe ich mir jetzt auch verdient. Schade, dass das Restaurant vom Campingplatz geschlossen war.

2.9. Madonna del Ghisallo – Como
46 km. 600 hm.

Zum Abschied nochmal rauf zur jetzt sonnenbeschienenen Kapelle. Weit geht der Blick von hier oben in die Tiefe zum Comer See hinunter und rüber über die hohen Bergzüge, die den See wie einen Fjord einrahmen. Die Luft ist reingewaschen, als ich zum letzten Radeltag aufbreche.

Erst mal letzter „richtiger“ Anstieg der Tour, rauf zu einem riesigen liegenden Monolithen unter Bäumen. Dann flotte Abfahrt auf kurviger Nebenstrecke Richtung Comer See runter, hohe Buckelwiesen, schattige Kastanienwälder, grasende Kühe und winzige Dörfer und Weiler. „Kamasutra“ darf sich noch einmal austoben.

Wenn man nicht aufpaßt, saust man an einer unscheinbaren, aber besonderen Kapelle vorbei: der Chiesina Regina Mater Viatorum, mit Steinsitzbank und kleinem Altar, ganz einfach gehalten. Sie ist nämlich der Königin und Mutter der Reisenden gewidmet, was Regina Mater Viatorum bedeutet. Paßt zu mir😉

Kurz vor Bellagio nach links abbiegen, dann lande ich auf der Uferstraße Richtung Como. Schon nach ein paar Metern weiß ich: das nennt man Traumstraße! In unzähligen Kurven schlängelt sie sich abwechslungsreich am Steilufer des Sees entlang, durch kleine verwinkelte archaische Örtchen mit herrlichem Italien-Charme, bildhübsch, mit Blumenbalkons und kleinen Obstgärten, altehrwürdigen Kirchen, herrschaftlichen Villen, Dorf-Bars, Häusern mit abplätterndem Putz, winzigen Bootshäfen, viel Grün, viel Zugewachsenes, mit steilen Felsufern, die direkt in den See fallen. Und immer wieder Panorama-Blicke auf den Lago. Große Klasse! Ein schöner Abschluß der Transalp25.

Abends lauf ich in Como ein, das voller Touristen steckt, übernachte in einem überteuerten Hotel und spare dafür beim Abendessen: leckeres italienisches 2-Gang-Menü für grad mal 12,- Sonderpreis. Ein schöner kulinarischer Abschluß.

3.9. Como – Chiasso
5 km. 110 hm.

Die allerletzte Etappe! Bei den grad mal 5 Kilometern bis zum Bahnhof Chiasso sind noch 110 Höhenmeter zu bewältigen: die kommen noch in die Endbilanz für die Spendenaktion mit rein und drücken die gefahrenen Höhenmeter auf 14.040 hm rauf 😉.

Erst hier, am schweiz-italienischen Grenzbahnhof, ist die TRANSALP25 wirklich zu Ende. Wie aus heiterem Himmel wird mir das schlagartig bewußt.

Es regnet, als ich in den Zug steige. Regen, den die Natur dringend nötig hat, nach diesem fast niederschlagslosen Sommer. Ich blicke aus dem Zugfenster und laß das tropfnasse schöne Tessin vorbeiziehen. Unglaublich, dass die Tour jetzt vorbei sein soll. Melancholie macht sich breit. Jeden Tag war ich draußen, jeden Tag in Bewegung, jeden Tag hab ich alle Landschaften aufgesaugt, die ich durchquert hatte. Das ist jetzt erst mal vorbei. Und wird mir fehlen.

Und so fahre ich im Zug durch die Berge. Und nicht mehr auf dem Rad. Fühlt sich komisch an.

In Basel treff ich wie verabredet Ludger wieder. Bis Mainz begleitet er mich, weiter fahre ich allein.

Ankunft in Aschaffenburg abends – Christine hat als Willkommensgruß ein „Begrüßungskomitee“ aus Freunden zusammengestellt. Bin völlig überrascht. Was für eine gute Seele! Schön, so zuhause anzukommen…